Nördliches Querschiff
Die schöne Kapelle im nördlichen Querschiff ist ganz der Jungfrau Maria gewidmet. Dass die Grablegung Mariens parallel zu der Jesu Christi im südlichen Querschiff erbaut wurde, liegt nahe. Der am Fuß des Grabes sitzende Mensch bildet ein Pendant zur Maria-Magdalena. Ansonsten weicht die schöne Kapelle vom Grab des Herrn dem Stil und dem Geist nach erheblich ab: dynamische Bewegungen sowie üppige Verzierung sind ihre wesentliche Merkmale. Die schöne Kapelle gehört nicht zur gleichen Epoche. Die gegen 1530 begonnene Errichtung erstreckte sich vermutlich bis 1553, ein Datum, das auf der südlichen Säulenreihe eingraviert ist. Der komplexe Aufbau besteht aus einem Ober- und Unterteil und erstreckt sich über drei Seiten des nördlichen Querschiffs.
Die Ikonographie beginnt im Oberteil mit einer Szene aus der Offenbarung des Johannes (Offb 12, 1). Dort ist die Jungfrau Maria als die Frau der Offenbarung dargestellt: Sie ist mit Sternen gekrönt und trägt zwei Adlerflügel. Unten symbolisieren sechs junge Frauen die Tugenden Mariens. In der Mitte stehen die zwei Tugenden, die am meistens in der Jungfrau Maria aufstrahlten: Die Demut und „der Glaube, der in der Liebe wirksam ist“. Daneben stehen die Kardinaltugenden: rechts die Stärke und die Vorsicht, links die Gerechtigkeit und die Enthaltsamkeit. Dank dieser Tugenden hat Maria das Tier besiegt, auf dem die große Hure aus Babylon sitzt (Offb 17, 1-6). Im nördlichen Oberteil erscheinen zwei Personen; beide legen Texte vor, welche die aus der Offenbarung des Johannes entnommene Szene auslegen. Ebenso die vier weiteren Personen, die auf dem nördlichen Sims zu sehen sind. Der Tradition nach, die sich auf die begleitenden Texte stützt, handelt es sich um (von links nach rechts) die Heiligen Bernhard, Anselm, Augustin und Bonaventura.
Links und rechts außen stehen die Heiligen Timotheus und Dionysius Areopagita, die hier über den Tod der Jungfrau Maria sprechen. Nach dem hl. Johannes von Damaskus waren beide zusammen mit den Aposteln Zeugen vom diesen Ereignis. Im östlichen Unterteil, in der sogenannten Szene „La Pâmoison“, ist der Tod Mariens dargestellt. Der Tradition nach, welche die apokryphen Evangelien sowie die Legenda aurea bezeugen, waren die Apostel beim Tod Mariens anwesend. Dieser wird als ein Tod aus Liebe, als eine Ekstase, als eine „pâmoison“ gesehen. Hier wird Maria von Petrus und Johannes gestützt. Ikonographisch Einzigartig ist, dass Maria die Kommunion von Jesus selbst empfängt, der zu ihr spricht: „Empfange, meine Geliebte, was ich gleich bei meinem Vater vollende.“
Die Grablegung der Jungfrau ist im Unterteil der westlichen Mauer zu sehen. Die Szene versteht sich als eine Nachahmung der Grablegung des südlichen Querschiffes. Zwar variiert der Stil, doch zeigen die Gesichtszüge Mariens die gleiche Gelöstheit wie das Antlitz Christi. Dadurch wollte der Künstler zeigen, dass der Tod Marias kein schweres Sterben war, sondern der Eintritt in das göttliche Leben, was in der Tradition „Die Dormitio“ genannt wird.
Der obere Teil zeigt die Himmelfahrt, den Eintritt der Jungfrau Maria in den Himmel, wo Christus sie aufnimmt. Unterhalb der Füße Marias halten zwei Engel eine Sühneplatte, die sich oberhalb der Bundeslade befindet. Der Tradition nach wird in der Bundeslade eine Vorankündigung der Jungfrau gesehen: Die Jungfrau hat Gott in ihrem Schloss getragen, der überall präsent ist. Verehrungswürdige Szene: David spielt auf der Harfe und andere Menschen stimmen in den Lobpreis ein.
Die westliche Mauerseite zeigt im Oberteil ein Ganzes: Dort wird Jesus mitten unter den Lehrern dargestellt. Die Evangelien berichten, dass der 12jährige Jesus nach der jährlichen Pilgerfahrt in Jerusalem blieb. Maria und Josef suchten ihn unterwegs, kehrten nach Jerusalem zurück und fanden ihn im Tempel im Gespräch mit den dortigen Lehrern (Lk 2, 41-52). Interessant ist, dass der Künstler diese Lehrer als die wichtigsten Reformatoren des 16. Jh. dargestellt hat, wie die maliziösen Gesichtszüge verraten.